Liverpool ist anders, Liverpool ist besonders. Auch wegen Hillsborough. Eine Erinnerung an 96 Freunde und eine Art Bekenntnis zu einem Verein, der so viel mehr ist.
Etwas mehr als fünf Jahre ist es nun her, dass ich endgültig zum Liverpool-Fan wurde. Rückblickend eine gar nicht so lange Zeit, vor allem, wenn man die lange und bewegte Historie unseres Vereins kennt. Zu dieser gehört natürlich auch der 15. April 1989. Als ich mich damals noch genauer mit dem Klub und der Stadt beschäftigte, bekam ich sofort von Hillsborough mit.
Es berührte mich, wie es ein Ereignis im (modernen) Fußball nur selten tun kann. Leider auf die völlig falsche Art und Weise, aus den falschen Gründen. Emotionen wie Unfassbarkeit, Trauer, Mitleid, später auch Wut, wenn man von den Folgen hört. Auch eine gewisse Selbstbetroffenheit kam mir irgendwann in den Sinn. Obwohl ich damals noch nicht einmal geboren war, keinen der Opfer oder Angehörigen kannte oder kenne. Aber diese Leute wollten damals nur ein Fußballspiels ihres, unseres Klubs sehen. So wie wir alle es jede Woche tun. Nur kamen sie davon nicht zurück.
Mich berührte nicht nur dieses Ereignis so sehr, sondern auch wie der Verein Liverpool FC und die Menschen in der Stadt damit umgingen. Bis heute. Es berührte mich so sehr, dass ich schon vor drei Jahren darüber folgende Zeilen schrieb. Auf meinem Blog, der ansonsten meistens Fußballstories in ironischer und humorvoller Weise erzählte. Aber ein ernsteres Thema als dieses kann es im Fußball nicht geben.
Die Hillsborough-Katastrophe
Heute vor genau 29 Jahren trug sich eine der schlimmsten, traurigsten und vor allem nachhaltigsten Tragödien im Fußball zu. Im Halbfinale des FA Cups 1989 traf der Liverpool FC auf Nottingham Forest. Die Halbfinals wurden damals schon auf neutralem Platz ausgetragen, allerdings nicht wie seit einigen Jahren im Wembley Stadium, sondern in alternierenden Stadien. Die FA wählte damals das Hillsborough Stadium in Sheffield für diese Partie, die mitgereisten Liverpool-Fans sollten am Leppings Lane Stand Platz finden.
Das folgenschwere Problem war aber, dass man mehr als 10.000 Zuseher, die eigentlich auf die Stehplatztribüne passten, hinein ließ. Dementsprechend groß war der Andrang der Fans am Eingang. Daher öffneten die Ordnungskräfte ein zusätzliches Tor, konnten dadurch aber die Massen an Zusehern, die in den Mittelblock strömten, nicht mehr kontrollieren. Dieser Mittelblock wurde bald zu voll, während ein Seitenblock, der durch einen Zaun vom mittleren getrennt war, halbleer war.
Viele Fans wurden entweder zu Tode getrampelt oder gegen den Zaun am Spielfeldrand gedrückt. Dort unterlief den Sicherheitskräften ein weiterer Fehler: Die Tore an diesem Zaun wurden zu spät geöffnet, um den Fans die Flucht aufs Spielfeld zu ermöglichen. Polizei und Rettungskräfte waren mit der Situation überfordert, die Erstversorgung der Verletzten wurde zum Großteil von geretteten Fans übernommen.
Jahrelanger Kampf um Gerechtigkeit
Die unmittelbare Folge war, nur vier Jahre nach den Tragödien von Bradford und Heysel, eine Abschaffung aller Stehplatztribünen und Zäune in den Stadien der englischen Liga. Bis heute gibt es in fast allen britischen Stadien nur noch Sitzplätze, UEFA und FIFA führten dieselbe Regelung für internationale Spiele ein. Alle englischen Vereine wurden für die nächsten Jahre aus europäischen Wettbewerben ausgeschlossen. Und Liverpool wurde dafür verantwortlich gemacht. Denn abgesehen von psychischen Belastungen und Erkrankungen für Angehörige und Überlebende hatten Liverpool-Anhänger noch bis vor wenigen Jahren mit anderen Folgen zu kämpfen.
Den Fans selbst wurde vonseiten der Politik und der Polizei die Schuld zugeschoben, auch die Boulevardzeitung The S*n hatte dabei ihre Finger im Spiel. Liverpool-Fans kämpften jahrelang um Gerechtigkeit, taten sich in Stiftungen zusammen. Erst 2009 wurde eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt, die 2012 die Unschuld der Anhänger bewies und Falschaussagen einiger Polizisten belegte. Erst 2016 gab es das endgültige Urteil: Der Tod der Fans war kein Unfall, sondern dem Fehlverhalten der Polizei geschuldet. Es war der längste Gerichtsfall der britischen Geschichte.
Das Licht brennt auf ewig
Wie sehr dem Verein das Andenken an die 96 Verunglückten naheliegt, wird jedes Jahr im April äußerst offenkundig. Jedes Jahr wurde im Anfield Stadium am Jahrestag eine Gedenkfeier abgehalten. Bis 2016, als die Hillsborough Family Support Group ihre jahrelange Arbeit durch das Urteil abgeschlossen sah. Es genügt aber schon ein Blick aufs Vereinswappen: Jeder Fußball-Fan kennt es, aber den wenigsten wird bewusst sein, dass die zwei Fackeln an der Seite an die Todesopfer erinnern soll.
Auch der berühmte Schriftzug „You’ll Never Walk Alone“, der mit dem Verein untrennbar verbunden ist, ziert seit der Tragödie das Wappen. Seit ein paar Jahren befindet sich die Zahl 96, umgeben von zwei Fackeln, im Nackenbereich der Trikots. Am Stadion befindet sich außerdem ein Memorial mit allen Namen der Verstorbenen, das auch während der jüngsten Umbauarbeiten aufrecht erhalten blieb. Und den wahren Stellenwert dieses nie enden wollenden Andenkens bemerkt man erst an der Anteilnahme der Liverpool-Fans, nicht nur im April.
Dass die Unterstützung für ihren Klub auf der ganzen Welt sowieso ihres Gleichen sucht, dürfte nicht nur uns Reds bekannt sein. Aber Hillsborough ist über die Jahre so ein unabdingbarer Teil des Vereins geworden, dass es den Zusammenhalt unter den Reds tatsächlich zu etwas Besonderem macht.
Wir haben eine Pflicht
Hauptgrund war und ist der bereits erwähnte Kampf um Gerechtigkeit. „Justice for the 96“ ist bis heute ein Motto, das im Stellenwert direkt unter dem „YNWA“ steht. Wer sich dem Liverpool FC hingibt, wird schon sehr bald spüren, dass sich dieser Verein in vielen Facetten von den meisten anderen abhebt. Nicht nur die Ikone Shankly, die glorreichen 70er und 80er oder das Märchen von Istanbul sowie die anderen Anfield European Nights gehören zur DNA Liverpools. Auch unsere 96 verlorenen Freunde werden auf ewig an der Merseyside verwurzelt sein und von allen Reds niemals vergessen.
Dieser Text sollte damals wie heute nicht nur die Besonderheiten dieses einzigartigen Vereins verdeutlichen, sondern auch an die Verstorbenen vom 15. April 1989 erinnern. Wie so viele tausende andere Anteilnahmen jedes Jahr an diesem Datum. Wie es allgegenwärtig ist in unserem Verein. Lasst uns das nicht vergessen.
Auch wenn wir den Kampf um Gerechtigkeit gewonnen haben: Halten wir die Erinnerung aufrecht, lassen wir den Spirit weiterleben, denken wir bei Besuchen in Anfield oder sonst wo in Europa an die Verstorbenen. Dann können sie vielleicht an einem anderen Ort ein ganz klein wenig mitspüren, was es heißt, Liverpool zu supporten. Das ist unsere verdammte Pflicht als aufrichtige LFC-Fans. Wir schulden es ihnen, weil wir das tun dürfen, was sie nicht mehr können. Diese 96 Fans wollten damals einfach nur ein Fußballspiel sehen – und kamen nicht mehr zurück.
Justice for the 96